In einer Zeit, wo man soviel von 'Reichsbürgern' hört, von ihren Bestrebungen, eine Neuauflage des alten Kaiserreichs
mit neuen rustikalen Anführern zu schaffen, erscheint es angebracht, sich mit den Segnungen dieser traditionellen Staatsform ernsthaft zu beschäftigen.
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Machen wir also den Faktencheck und untersuchen, ob wir das Geheimnis der Beliebheit des letzten Kaiserreichs deutscher Nation
lüften können. Des Kaisers Abgang im Jahr 1918 war eher unrühmlich, wenigstens soweit es den Kommentar jener Soldaten betrifft,
die ihm an der holländischen Grenze, auf dem Weg ins Exil, nachgerufen haben sollen: " Kamerad kaputt! "
Intelligenter hat sich da des Kaisers General Ludendorff verhalten, indem er sich nach dem peinlichen Kriegsende erst einmal solange verkrümelte, bis die Unterhändler der neuen deutschen Republik ihm die Aushandlung eines Waffenstillstands und den überaus ärgerlichen Friedensschluss von Versailles abgenommen hatten. Danach meldete er sich wieder 'unbelastet' zurück mit der überaus bequemen 'Dolchstoss-Legende', die alle Schuld am verlorenen Krieg den 'Verrätern' der Republik zuschrieb, was deren Unterhändler Erzberger schließlich das Leben kostete. Bis zum lange verschleppten Kriegsende tönten den 'historischen Reichsbürgern' noch die Durchhalteparolen in den Ohren. Meine Mutter erzählte mir von einem Kinderlied, das sie mehr aus Spaß als aus Überzeugung gesungen hatte. Das ging dann so: Wir essen voll Dank, wir essen voll Stolz unser Obstmusbrot. " Historikern zufolge steht fest, dass die Monarchien in Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland durch das bereits veränderte Machtgefüge in ihren Ländern deutlich geschwächt waren. Der russische Zar musste im Gegensatz zu seinen Kollegen in Berlin und Wien sogar mit seinem Leben dafür bezahlen. |
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Eines sei vorausgeschickt: Die unteren Klassen der werktätigen 'Reichsbürger' mussten oft schwere körperliche Arbeit verrichten,
die an der Gesundheit zehrte und ihre Lebenserwartung reduzierte. Andere mit höherer Bildung bzw. leichterer Arbeit waren dafür eher
der Willkür ihrer Vorgesetzten und Herrschaften ausgesetzt, die auf einem Klassendünkel basierte, wie er heute kaum noch zu finden ist.
Dabei waren insbesondere Dienstmädchen in reichen Haushalten häufig Repressalien ausgesetzt, die über das eigentliche Dienstverhältnis
hinausgingen.
Die meisten um 1900 entstandenen Fabrikhallen müssen wohl eher dunkel und schmutzig gewesen sein. Jedenfalls kann ich mich aus den Tagen meiner Kindheit, etliche Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, an einen Besuch bei Siemens erinnern, wo es genauso aussah. In engem Abstand waren Werkzeugmaschinen auf dem mit Metallspänen vollständig bedeckten Boden zwischen kahlen unverputzten Wänden verteilt. Die Maschine unseres Nachbarn stand in einem Erker, der von der Straße her den Eindruck eines Ziertürmchens erweckte, womit die graue Fassade der Fabrik für den Betrachter aufgelockert werden sollte. Die einzigen Lichtquellen in diesem Raum waren die Arbeitslampen an den Maschinen, deren Lichtkegel einen Kreis mit grellem Licht rund um das zu bearbeitende Werkstück ausleuchtete. Ansonsten war der Maschinensaal ohne jede Eigenbeleuchtung. Man hatte sich also gefälligst auf sein Werkstück zu konzentrieren. - Ich durfte an diesem Tag eine Nachbarin quer durch die Stadt begleiten, um ihrem Mann das Mittagessen zu bringen, ohne dass er seine Arbeit extra für die Mittagspause unterbrechen musste. Der Nachbar zeigte uns bei dieser Gelegenheit drei oder vier Werkstücke, die er am Vormittag bereits gefertigt hatte und in einem kleinen Kasten aufbewahrte. Er meinte dazu, dass er wegen der geringen Menge mit Problemen rechne. So ähnlich wie hier, dachte ich mir, muss es wohl schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgesehen haben, nur mit den Produktionsmethoden dieser Zeit. Das Zeitalter der Handarbeit, wo die Arbeit direkt oder indirekt nach den gefertigten Stückzahlen bezahlt wurde, dauerte in manchen Branchen noch sehr lange an. Von Spulenwicklerinnen bei Siemens und Teilereinigern bei Bosch habe ich auch noch als Erwachsener gehört. der kennt den Ernst des Lebens nicht, der hat ihn erst noch vor(r) sich." Auch die Bezahlung der Arbeit war nicht einmal annähernd vergleichbar mit dem, was seit dem Beginn des 'Wirtschaftswunders' in den 1950er Jahren bis zum heutigen Tage im Rahmen einer gewerkschaftlichen Organisierung der Arbeiter allmählich üblich wurde und heute manchmal noch seltsame Blüten treibt. Von Arbeitsschutz war in dieser Zeit überhaupt nicht die Rede. Zwar hatte Reichskanzler Bismarck ab 1881 bereits eine gesetzliche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung eingeführt, allerdings auf niedrigstem Niveau und mit dem Ziel, den ihm verhassten Sozialisten das Wasser abzugraben, nachdem sie durch seine Sozialistengesetze ohnehin in ihren Aktivitäten eingeschränkt wurden. |
![]() Otto von Bismarck |
![]() Männer beim Kartenspielen während der großen Arbeitslosigkeit nach dem Krieg. |
![]() Das Elend der Alten. |
Um die Lohn- und Preisentwicklung der deutschen Kaiserzeit (1871-1918) beurteilen zu können und damit auch die wirtschaftliche Situation der 'historischen Reichsbürger', muss man zunächst die Fakten ermitteln. Eine Publikation der Staatlichen Münzsammlung in München macht hierzu folgende Angaben für die Zeit nach Einführung der 'Reichsmark' (ca. 1875) und bezogen auf die Stadt München. |
![]() Streichholz-Verkäufer |
![]() Blechschlosser - Wagnergehilfe |
Das Tageseinkommen kann wie folgt veranschlagt werden: Ein Blinder bekam 17 Pfennige Armenunterstützung pro Tag. Ein Schlosser verdiente bei Akkordarbeit 86 Pfennige. Ein Landwirtschaftsarbeiter 1.60 Mark. Ein Eisenbahnarbeiter 1.37 Mark. Ein Maurer 3.50 Mark. Das relativ hohe Einkommen der Maurer erklärt sich durch die rege Bautätigkeit der sogenannten 'Gründerzeit' und den damit verbundenen Bedarf an Arbeitskräften. Das Wocheneinkommen der folgen Berufsgruppen betrug bei einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 72 Stunden: Für einen Metzgergehilfen 5.80 Mark. Für einen Wagnergehilfen bei freier Logis 13.76 Mark. Für einen Drucker 18.86 Mark. Für einen geübten Silberarbeiter 23.22 Mark. Das Jahresgehalt einer Köchin in einem Haushalt (bei freier Kost und Logis) lag bei 124 Mark. Ein Postbote bekam 675 Mark, ein Brunnenwärter 850 Mark und ein Magistratsschreiber 1.190 Mark. Ein Lehrer vediente 1.376 - 2.074 Mark und ein Tierarzt 1.950 Mark. Ein Rechtsrat der Stadt München bekam 2.890 Mark, der Oberbürgermeister von München 9.350 Mark und eine Königlich-Bayerische Kammersängerin sogar 25.800 Mark. |
![]() Metzgergehilfe |
Den Löhnen und Gehältern gegenüber stehen dabei die Preise für die wichtigsten Lebensmittel: Ein Huhn kostete 1.30 Mark, eine Gans 4.00 Mark und 1/2 kg Schweinefleisch ca. 80 Pfennige. 1 Liter Milch kostete 20 - 25 Pfennige, 1/2 kg Butter 1.10 - 1.20 Mark und 1 Ei einen Pfennig. 1 Liter Exportbier kostete 26 Pfennige, 1 Liter deutscher Wein dagegen 1.80 Mark. Jahresmieten um 1880: Eine 3 Zimmer-Wohnung mit Küche, Kammer und fließend Wasser kostete 360 Mark, ein helles großes Zimmer 192 Mark und eine 2 Zimmer-Wohnung mit Keller, Speicher, Waschgelegenheit und Wasseraufzug 168 Mark." Die Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung erschließt sich dann, wenn man bedenkt, dass beispielsweise ein Metzgergehilfe fast eine Woche (mit 72 Arbeitsstunden) arbeiten musste, um 5 Mark zu verdienen. Ein Dach über dem Kopf war kaum bezahlbar. In der Großstadt mussten sich viele Arbeiter als 'Schlafburschen' einmieten; Familien nutzten den Bauboom der Gründerzeit, um neugebaute Wohnungen 'trockenzuwohnen', mussten aber nach ein paar Wochen wieder umziehen, um der Mietzahlung zu entgehen. |
![]() Die letzten Pfennige für Obst (das Pfund Mandarinen für 15 Pf). |
Am Ende dieser Betrachtung über die Lebensqualität der 'historischen Reichsbürger', ihre wirtschaftliche Lage und ihre stark eingeschränkten Rechte und Aufstiegsmöglichkeiten, drängt sich einem die Frage auf: |